Die Geschichte des Tipp-Kick-Sports in Ostdeutschland

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Die Geschichte des Tipp-Kick-Sports in Ostdeutschland

Die ersten Tipp-Kick-Spiele gelangten nach Ostdeutschland, als Edwin Mieg 1926 vor den Toren der Spielwarenmesse in Leipzig seine Spiele verkaufte. Insbesondere ein Spielwarengeschäft in Chemnitz soll ein große Anzahl an Spielen gekauft haben.

Die Rundschau berichtete 1975 von einem Tipp-Kick-Interessenten aus Leipzig, einem Herrn Kluge, der sich beim damaligen DTFV-Generalsekretär Thomas Nissen meldete. “Unbedingt beschicken”, schrieb er hinter die veröffentlichte Adresse.

Als Thomas Nikella im Rahmen seines Projektes “Tipp-Kick im Nachbarland” Kontakt zu dem österreichischen Verein in Ybbs aufnimmt, erfährt er, dass es seit Jahren einen Austausch mit einem Tipp-Kick-Interessenten, Lutz D. aus Nossen b. Dresden gäbe. Man würde ihm gelegentlich Tipp-Kick-Materialien schicken, die er benötigt. Thomas Nikella schrieb ihn Ende 1987 an und veröffentlichte seine Adresse in der Rundschau.

Deutsche Einzelmeisterschaft am 3. September 1988 in Erbach. Eine große Überraschung bahnt sich an. Die Rundschau schreibt: “Samstagmorgen, nur langsam treffen die Teilnehmer ein … dann die Begrüßung und … ja, es ist kaum zu glauben: Lutz D. aus Nossen (DDR) hat es geschafft, er ist mit Hilfe von Reiner Schultheiß gekommen…. Es ist ein tolles Gefühl, die Meute klatscht frenetisch Beifall.”

In der Rundschau findet sich unter diesen Zeilen noch ein Foto, allerdings ohne Namensangaben und Aufnahmedatum.

Das Foto wurde in der RUNDSCHAU, 1988, Heft 3, Seite 4, veröffentlicht.

In der DDR gab es eine nachgeahmte Tipp-Kick-Variante mit reinen Plastikfiguren.

Abb. 1: Tipp-Kick à la DDR, Hersteller: PGH “Geschwister Scholl” Hedersleben, später VEB Metaplast in Quedlinburg (aus H.-P. Hock1)

Halleschen Tipp-Kickers 1991

Erst nach der Wende gab es auch im Osten der Republik drei Vereine, die dann auch am Punktspielbetrieb teilnahmen. Alle drei Vereine kamen aus dem Großraum Halle-Leipzig. Den Anfang machten die Halleschen Tipp-Kickers 19912, die am 21. Juli 1991 von Uwe Schiering (Jg. 1959) gegründet wurden. Mit seinen drei Söhnen David (Jg. 1982), Oliver (Jg. 1983) und Francis (Jg. 1986) sowie dem Nachbarn Dieter Trothe nahm der erste ostdeutsche Verein im DTFV zum ersten Mal in der Saison 1993/94 am Punktspielbetrieb in der Regionalliga Ost teil. Mit 0:14 Punkten und 39:185 Einzelspielpunkten reichte es aber nur zum letzten Platz. Bester Spieler war Uwe Schiering, der mit 21:35 Punkten immerhin Platz 22 der Einzelwertung von 43 teilnehmenden Spielern dieser Liga belegte.

Abb. 2: Das Vereinswappen der Halleschen Tipp-Kickers 19912

Im Sommer 1994 kam es dann in einem Freundschaftsspiel zum ersten Aufeinandertreffen zweier Vereine aus dem ehemaligen Bezirk Halle. Im nur 30 km entfernten Bitterfeld trafen sich regelmäßig ein paar Freunde zum Tipp-Kick spielen. Wolfgang Richter und Alexander Breuß waren hier die treibende Kraft. Durch viele Telefonate fand der Letztgenannte heraus, dass es in Halle einen Tipp-Kick-Verein gab. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit Uwe Schiering dauerte es auch bis zur Vereinbarung eines Freundschaftsvergleichs nicht mehr all zu lange. Am 10.07.1994 war es dann soweit. Mit 28:4 gewann Halle deutlich gegen den TKC Bitterfeld. Auf der Seite der Hallenser spielte übrigens der damalige Waltroper Bundesligaspieler und Deutscher Mannschaftsmeister Stefan Hahne, der in Halle einen Computerladen betrieb. In der Folgezeit führten beide Vereine gemeinsame Trainingsabende durch.

In der Saison 1994/95 hatten die Hallenser Personalprobleme, die dadurch gelöst wurden, dass sich der TKC Bitterfeld kurzerhand auflöste und Wolfgang Richter und Alexander Breuß für Halle antraten. Es dauerte nicht lange und 1995 wurde die 1. Bitterfelder Stadtmeisterschaft ausgespielt. Immerhin fanden neben Stefan Hahne auch 3 Zweitliga-Spieler aus Duisburg den Weg dorthin.

Abb. 3: Zeitungsbericht von Alexander Breuß zur 1. Bitterfelder Stadtmeisterschaft

Im Februar 1995 konnte auswärts bei Jumbo Zehlendorf 86 mit 17:15 der erste Punktspielsieg in der Hallenser Vereinshistorie eingefahren werden. Uwe Schierung und Alexander Breuß holten jeweils 6:2 Punkte als erfolgreichste Spieler ihrer Mannschaft.

Abb. 4: Mannschaftsfoto Halleschen Tipp-Kickers 1991 nach dem historischen Auswärtssieg bei Jumbo Zehlendorf 86 (Saison 1994/95).

Von links nach rechts: Wolfgang Richter, Alexander Breuß, Uwe Schierung und David Schiering.

Insgesamt nahmen die Halleschen Tipp-Kickers 1991 an 9 Spielzeiten teil. In der Saison 2003/04 konnte mit 10:2 Punkten der 2. Platz errungen werden und man verpasste erst im letzten Spiel durch eine 11:21-Niederlage gegen die Dritte Mannschaft von Celtic Berlin den Aufstieg in die 2. Bundesliga-Nordost. 

Abb. 5: Mannschaftsfoto Halleschen Tipp-Kickers 1991 nach dem Auswärtsspiel bei Alemania 02 Wedding (Saison 2003/04).

Von links nach rechts: Alexander Breuß, David Schierung, Uwe Schierung und Oliver Schiering.

2006/07 wurde der Traum in der 2. Bundesliga zu spielen wahr, weil der Erste der Liga nicht aufsteigen „durfte“, der Zweite und Dritte nicht „wollten“. Doch mit 0:18 Punkten und 49:239-Einzelspielpunkten blieben hatten die Hallenser  keine Chance. Nach dieser frustrierenden Zweitligasaison meldeten die Halleschen Tipp-Kickers 1991 keine Mannschaft mehr für den Punktspielbetrieb.

1. TKC Leipzig 1998

In Lößnig, das in der Nähe von Leipzig liegt, trafen sich seit Januar 1996 regelmäßig mehrere Jugendliche zum Tipp-Kicken: Nils Schmidt, Jan Lehmann, Stephan Linnert und Jens Jähnert. Sie trugen interne Turniere aus, später eine Meisterschaft und einen Pokalwettbewerb. Im Laufe der nächsten 2 Jahre kamen noch Frank Schachtschneider, Ronny Stricker, Robert Kramer und Lutz Ehrig hinzu. Bereits in der 4. Saison, man schrieb das Jahr 1998, wurde auf wettkampfgerechten Platten gespielt.

Abb. 6: Die Vereinsmitglieder des 1. TKC Leipzig 1998

Am 11. April 1998 gründete sich dann der 1. TKC Leipzig 1998 offiziell. Es werden Kontakte nach Halle geknüpft und am 20. Dezember 1998 war es soweit: Man traf sich zu einem ersten Freundschaftsspiel. Zwar unterlag man 7:25, konnte aber wertvolle Erfahrungen sammeln. Keine 2 Monate später im Februar 1999  trat man dem DTKV bei, besucht die ersten Turniere (ODEM in Berlin) und meldet eine Mannschaft für den Spielbetrieb in der Regionalliga Ost (Saison 1999/2000). Am 3. Oktober 1999 kommt es zum ersten Punktspiel in der Vereinsgeschichte: Man trotzt den Hallenschen Tipp-Kickern 1991 mit einem 16:16 einen Punkt ab. Der erste Punktspielsieg gelingt noch im gleichen Monat. Kein geringerer Verein als der TFC Eintracht Rehberge Berlin von 1972, der ehemalige Deutsche Mannschaftsmeister von 1988/89 und 1989/90, wird mit 17:15 geschlagen. Die erste Saison der Vereinsgeschichte wird mit starken 5:7 Punkten beendet, als bester Einzelspieler kommt Jens Jähnert in die TOP-10.

In die zweite Punktspielsaison 2000/01 startet man noch mit einer zweiten Mannschaft und nimmt an Turnieren teil. Am 10. Juni 2001 spielt man in Leipzig die 2. geschlossene Mitteldeutsche Einzelmeisterschaft (MDEM) aus. Es treten 14 Spieler an, es siegt der Leipziger Lutz Ehrig.

Abb. 7: Lutz Ehrig (1. TKC Leipzig 1998) gewinnt das Finale der 2. MDEM mit 6:2 gegen Jens Jänisch (ebenso 1. TKC Leipzig 1998).

Abb. 8: Alle Teilnehmer der 2. Mitteldeutschen Einzelmeisterschaft 2001

Doch dann naht das Ende des Vereines. Mit dem Eintritt ins Studium und Berufsleben sowie den damit verbundenen Umzügen erlischt das Vereinsleben der Leipziger.

Zum bekanntesten und erfolgreichsten Spieler bei den Leipzigern wurde Jens Jähnert (Jg. 1983), der auch die treibende Kraft im Verein war. Immerhin liefen Jens Jähnert (Flinke Finger Fürstenfeldbruck), Marcus Hennig (Ostwestfalen Magic, gemeinsam mit Jens Foit) und Richard Klemm (Halleschen Tipp-Kickers 1991) noch Jahre später für andere Vereine auf.

Eine umfangreiche Chronik des Vereines steht in der linken Seitenleiste zum Download bereit.

STK Weißenfels, später STK Weißenfels-Süd

Der dritte Verein aus der ehemaligen DDR war das Projekt von Matthias Voss, der den STK Weißenfels (später TKC Weißenfels-Süd) gründete. Dieser nahm an drei Spielzeiten teil ( 2000/01, 2001/02 und 2002/03), wobei in der Saison 2001/02 in der RL Ost mit 6:2 Punkten immerhin der 2. Platz von 5 teilnehmenden Mannschaften errungen wurde.

Die erfolgreichsten Spieler in Ostdeutschland

Zu den erfolgreichsten Einzelspielern aus der Ex-DDR avancierten Jens Jähnert und Alexander Breuß. Jens Jähnert gelang bei der ODEM 2003 und bei der DEM 2015 der Einzug in die 4. Runde und bei der Bayrischen Einzelmeisterschaft 1999 in Nürnberg sogar der Einzug in die Endrunde. Alexander Breuß gelang bei der DEM 2017 der Einzug in die 4. Runde und beim City-Cup Hannover 2004 sowie beim Delligser Hils-Cup 2019 der Einzug in die Endrunde.

Der erste Ostdeutsche, dem es gelang in die Endrunde eines DTFV-Tipp-Kick-Turnieres einzuziehen, war David Schiering (1995 bei der 1. Bitterfelder Stadtmeisterschaft).

Alexander Breuß trat nach seinen Auftritten für alle drei ostdeutschen Mannschaften noch für Germania Neukölln und die Spandauer Filzteufel in der 2. Bundesliga Nordost an. Er ist der einzige heute noch aktive Spieler aus dem Osten Deutschlands.

Abb. 9: Alexander Breuß (links) für die Spandauer Filzteufel ’09 II am 7. Mai 2023 in einem Punktspiel der 2. Bundesliga Nordost gegen Marcel Becker (SG Wolfsburg/Adersheim II).

Die Frage, warum sich Tipp-Kick in der ehemaligen DDR als Sport nicht durchsetzen konnte, findet Alexander Breuß keine so richtig befriedigende Antwort: „Vielleicht gab es einfach zu wenig Verrückte bei uns“ und so bleibt festzuhalten, dass sich der Traum von blühenden Tipp-Kick-Landschaften im Osten nicht erfüllte.

Der DTKV bedankt sich bei Alexander Breuß und Jens Jähnert für diese Zusammenstellung und den bereitgestellten Fotos!

Weitere Quellen:

1 HOCK, Hans-Peter: HEIM-SPIEL. Tischfußball im vordigitalen Zeitalter. 52 S., Dresden, 2022.

2 RUNDSCHAU, 1995, Heft 4, Seiten 54 u. 55: Vereinsvorstellung: Hallesche Tipp-Kickers 1991 [Download: hier]

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