Die 58. Deutsche Einzelmeisterschaft in Schwenningen – 100 Jahre Tipp-Kick und wenn selbst der Computer nostalgisch wird …

Tipp-Kick lebt! Das ist die Quintessenz eines fantastischen Wochenendes der schönsten und besten Fußballsimulation der Welt. In Schwenningen sind weit über 200 Teilnehmer der würdige Rahmen für ein Jubiläumsturnier. Nur die Technik kapituliert vor der Masse.

Am Ende gibt es einen Sieger, den es eigentlich gar nicht geben kann: Artur Merke hat zwei Tage lang an der Seite von Georg Schwartz maßgeblich die Organisation des Turnierablaufs sichergestellt, was ein fordernder Job war. Dann hat er die im Schweizer System ausgespielte Qualifikation für die Playoffs als Erster beendet – ein ungeschriebenes Gesetz lässt einem solchen Triumphzug fast nie auch den Erfolg in der Endabrechnung folgen. Aber welche Gesetze gelten schon für den strengen Rationalisten Artur Merke? Er gewann ganz einfach auch in den Playoffs weiter und sicherte sich seinen zweiten deutschen Meistertitel nach 2022. Der Erfinder von Artbot, oder eigentlich der Artbot selbst, ist damit endgültig im Tipp-Kick-Olymp der Größten des Sports angekommen. Die selbst geschaffene Hall of Fame lässt er somit gewissermaßen hinter sich.

Abb. 1: Triumphaler Sieg für Artur Merke (1. TKC Kaiserslautern ’86). Mit 3:2 siegt der Neu-Lautrer im Finale der 58. DEM gegen Jakob Weber (PWR ’78 Wasseralfingen). Treten die Weber-Brüder Jakob und Jonathan in die Fußstapfen der Fink-Brüder der 60’er bzw. 70’er Jahre, die jeweils 3 DEM-Finals verloren, aber etliche Sektionstitel gewinnen konnten?

Artur Merkes Sieg der spielerischen Klasse und Rationalität war der perfekte Kontrapunkt zu einem Turnierwochenende, das irrationaler kaum hätte beginnen können: Nämlich mit ernsthaften Überlegungen, die erste Runde im Gruppenmodus nach althergebrachter Manier händisch auszulosen. Es gab schon Überlegungen, wie man wohl an 228 Überraschungseierdöschen kommen kann, um die Ziehung auch wirklich so klassische ausführen zu können, wie es irgendwann in den neunziger Jahren der Fall gewesen sein dürfte. Wie kam es dazu? Der Computer streikte. Oder war er schlicht so nostalgisch veranlagt, dass er eine Auslosung wie in den besten Zeiten des Tipp-Kick vor drei Jahrzehnten erzwingen wollte, als der Prozess locker mehrere Stunden in Anspruch nahm, weil zudem auch die Gruppenzettel noch per Hand ausgefüllt werden mussten.

Abb. 2: Georg Schwartz, Artur Merke, Peter Funke (von links nach rechts), Jakob und Bernd Weber als Plattenbauer schufen ein magisches Wochenende, auch dank Jochen und Mathias Mieg (TIPP-KICK GmbH), die Halle, Platten und so vieles mehr sponsorten.

Artur Merke und Georg Schwartz starrten immer panischer werdend gemeinsam auf den Desktop des Notebooks, drückten immer wieder auf den Button, der eine Auslosung ausspucken und den Turnierstart ermöglichen sollte. Aber es geschah nichts. Nach dem Ausschlussprinzip gingen sie mögliche Ursachen durch, den Hinweis, dass der 100 Jahre alte Geist des Tipp-Kicks womöglich den Computer verhext hat aus nostalgischen Gefühlen, nahmen die Turniermacher gequält lächelnd hin. Nein, Irrationalität hatte an diesem Tisch keinen Platz. Stattdessen durchforsteten sie das Teilnehmerfeld in der Überzeugung, dass irgendein Sonderzeichen den Computer verwirren müsse. Zugegebenermaßen lag der Verdacht durchaus nahe. Denn eine solche Zahl an ungewöhnlichen Namen hatte der Tipp-Kick-Sport zuvor nie erlebt: Aus Bohumin waren die tschechischen Freunde des einzig wahren Tischfußballs angereist und mit ihnen im Schlepptau manch ungewöhnliches Schriftzeichen. Auch die Franzosen um Léandre Lançon brachten Accent grave, aigu und circonflex mit nach Deutschland. Schwartz und Merke löschten nun alle verdächtigen Zeichen, während ein kluger Kopf beim Einspielen seinem Gegenüber zuflüsterte, dass das Programm vielleicht nicht für mehr als 199 Teilnehmer ausgelegt sein könnte, weil Peter Deckert als Programmierer pessimistisch nie wieder eine solche Zahl für ein Tipp-Kick-Turnier für erreichbar hielt. Jener kluge Kopf traute sich freilich nicht, seine Vermutung lautstark zu äußern, aus Furcht vor Hohn und Spott.

Abb. 3: Waren die vielen Sonderzeichen in den Namen aus Tschechien schuld …

Abb. 4: … oder etwa die französischen Sonderzeichen …

Abb. 5: … oder die schwizzerdütschen Namensendungen? Nein, natürlich nicht!

Und so mussten anderthalb Stunde vergehen, ehe Merke und Schwartz feststellten, dass Peter Decker zwar mit mehr als 199, aber eben nicht mit mehr als 224 Spielern kalkulierte. Aus dieser pessimistischen Fehlkalkulation resultierte ein zäher Start in den Turniertag.

Der wurde dann freilich aber umso schöner: Es entwickelte sich eine Deutsche Meisterschaft, die Spitzenleistungen der besten Könner verband mit dem unfassbar schönen Anblick mancher Sechsergruppen, in denen sich drei relative Frischlinge hinter drei Routiniers um den letzten freien Platz für Weiterkommen balgten. Ein gutes Dutzend der Teilnehmer war dabei unter 14 Jahre alt, auch das ein Anblick, der das Herz der Tipp-Kicker höher schlagen ließ. Und so wurde mit allen Parallelturnieren anderthalb Tage lang fast durchgehend auf 50 Platten gespielt, ständig waren 100 Spieler und 50 Schiedsrichter im Einsatz.

Abb. 6: Da lacht das Tipp-Kick-Herz. So viel Jugend macht Mut für die Zukunft des Tipp-Kick-Sports. Haben die beiden Herren im Hintergrund eigentlich einen Trainerschein?

Sportlich brachte das Schweizer System am Sonntag die klassischen Verläufe mit sich. Spieler, die bereits mit komfortablem Vorsprung auf die Plätze 17 und folgende ihre Bahnen zogen, rutschten urplötzlich nach 10:4 Punkten noch aus dem Endrundenfeld. Ein Benjamin Buza, der nach einer Niederlage gegen Daniel Meuren nach der Hälfte der zehn Spielrunden schon seine Spieler endgültig einpacken wollte, rangierte am Ende unerwartet auf Rang 11. Für mehr reichte es freilich bei dem früheren deutschen Meister nicht, weil sein Hirschlandener Klubkamerad und Titelverteidiger Florian Stähle ihn ausbremste. Auch Stähle fand freilich zwei Runden später seinen Meister im aktuellen Wasseralfinger Topspieler Jakob Weber, der am Ende ein weiteres Mal ein Meisterschaftsfinale verlieren sollte. Beim 2:3 gegen Merke fehlten Weber schlicht und ergreifend „die letzten Körner“, wie er sich eingestand. Die Woche sei sehr hart gewesen. Weber hatte tagelang gemeinsam mit Vater Bernd die 50 Turnierplatten neu gebaut, auf denen die Meisterschaft ausgespielt wurde.

Möglich war dieser enorme Aufwand, da das Herstellerunternehmen, die Firma TIPP-KICK GmbH, zu den Meisterschaften geladen hatte im Jubiläumsjahr. Am Vorabend der Titelkämpfe fand deshalb eine Gala statt, wie sie das Tipp-Kick bis dato noch nicht erlebt hatte: Mehr als 300 Gäste erwiesen dem Spiel die Ehre, die Mieg-Cousins Jochen und Mathias, die das Unternehmen seit einem Vierteljahrhundert gemeinsam leiten, und Staatssekretär Volker Schebesta (“Wir können alles außer Hochdeutsch“) brachten den Gästen in ihren Reden die Faszination des Tipp-Kick nahe, der in China ansässige Geschäftspartner der Miegs erläuterte recht interessant die Produktion der kleinen Zinkfiguren in Fernost und andere Redner und Kabarettisten sprachen leicht Thema verfehlend über Fußball statt über Tipp-Kick. Die gute Laune der Tipp-Kick-Schar störte das freilich überhaupt nicht. Die Jubiläumsfeier war ein Wiedersehen mit Altstars und Oldies und ein Kennenlernen von manch neuen Akteuren. Es fehlte eigentlich nur Normann Koch und vielleicht der ein oder andere der alten Helden von Concordia Lübeck, die das Spiel so maßgeblich geprägt haben. Die Tipp-Kick-Familie präsentierte sich aber auch ohne sie von ihrer besten Seite in der Neckarhalle, die dominiert wurde von einer mehr als vier Meter großen Tipp-Kick-Figur. Sie sollte der Szene Mut machen, Tipp-Kick wieder größer zu denken. Der Riesenkicker mit dem Baden-Württemberg-Wappen auf der Brust stand übrigens stets mit Blick auf den Notebook-Bildschirm. War es am Ende doch sein Geist, der den Computer manipuliert hat?

Wohl kaum, denn ansonsten hätte er Merke sicherlich nicht mit solch einer überragenden Stärke ins Rennen in die KO-Partien geschickt. Alleine gegen Max Gottschalk kam er kurzzeitig leicht ins Straucheln, aber spätestens beim Halbfinale gegen William Schwaß wurde klar, dass der Riesenkicker wohl Merke wohl unter seine Fittiche genommen hatte. Nach einem 0:7 und 0:4 war auch William schnell klar geworden, dieser Gegner ist einfach mehr als eine Nummer zu groß. Im Finale gegen Jakob Weber kam auch nur ganz am Ende nochmal kurz so etwas wie Spannung auf, als Jakob auf 3:2 aufschließen konnte, aber stoppen konnte er den Riesen Merke auch nicht.

Eine Deutsche Meisterschaft, die im Nachhinein von den Besuchern als „legendär“, „einzigartig“ oder „außergewöhnlich“ betitelt wird, sich manch ein Ostälbler sich Tage danach noch „bekifft von der tollen Atmosphäre“ fühlte, zeugt davon, dass Tipp-Kick auch nach 100 Jahren nichts seiner mannigfaltigen Faszination eingebüßt hat.

Tipp-Kick lebt!

Abb. 7: Eigentlich waren alle Anwesenden Sieger, aber diese haben neben den magischen Augenblicken zusätzlich auch einen Pokal mit nach Hause nehmen dürfen.

Dem Amt für Feuerwehr, Brand- und Zivilschutz der Stadt Villingen-Schwenningen danken wir nicht nur für die sehr gute Verköstigung, sondern auch für die Erlaubnis, den Imagefilm, der während der 58. Deutschen Einzelmeisterschaft gedreht wurde, auf unserer Homepage einstellen zu dürfen.

Das Beitragsbild stammt von Andreas Sigle. Die Abbildungen 1 bis 7 von André Bialk.
Das Video wurde auf der Instagram-Seite der Feuerwehr der Stadt Villingen-Schwenningen entdeckt: https://www.instagram.com/p/C7_maNOoQCm/?igsh=dWk0ZHN3anphd3Rt

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